Dr. med. Gerald Hanf
Dr. med. Juliane Ackermann-Simon
Dr. med. Katarzyna Hansen

Privatärztliche Gemeinschaftspraxis

Allergie- und Asthma-Zentrum Westend
Praxis Hanf, Ackermann u. Hansen Spandauer Damm 130, Haus 9
14050 Berlin

Tel. 030 / 30 20 29 10
Fax 030 / 30 20 29 20

anmeldung@allergie-experten.de

Fachbuch zu sämtlichen Allergieformen

Fachbuch zu sämtlichen Allergieformen
Trautmann & Kleine-Tebbe: Vollständig überarbeitete 3. Auflage 2017, 544 S., 177 Abb., gebunden (incl. Digital-Version)
ISBN: 9783131421838
Thieme Verlag 6-2017

Einführung mit kommentierten Kasuistiken (klinische Fälle)

Einführung mit kommentierten Kasuistiken (klinische Fälle)
Kleine-Tebbe & Jappe: Überarbeitete Buchausgabe nach "Allergologie"-Heft 8/9-2013, 154 S., 32 Abb., 17 Tab.,
ISBN: 978-3-87185-491-0
Dustri-Verlag 9-2014

Fachbuch zur Molekularen Allergologie

Fachbuch zur Molekularen Allergologie
Jörg Kleine-Tebbe & Thilo Jakob (Hrsg.):
1. Auflage, 392 S., 190 Abb., gebunden
ISBN: 978-3-662-45220-2
Springer Medizin 10-2015

Fachbuch (engl.) zur Molekularen Allergologie (free access)

Fachbuch (engl.) zur Molekularen Allergologie (free access)
PM Matricardi, J Kleine-Tebbe, HJ Hoffmann, R Valenta, M Ollert (Hrsg.): Molecular Allergology User´s Guide 2016. ISBN: 978-3-033-05653-4. Veröffentlicht durch die EAACI (europäische Allergologenvereinigung), 6-2016, Download als PDF-Datei (38,6 MB), dazu auf das Cover klicken

Kapitel 1

Info-Archiv


Das Info-Archiv beruht auf einem Patienten-Ratgeber von Jörg Kleine-Tebbe, der 1997 vom Medpharm-Verlag (Scientific Publishers Stuttgart, ISBN 978-3-887630553) herausgegeben und von den Betreibern von www.allergie-experten.de für die vorliegende Internet-Anwendung aktualisiert wurde. 


Pollen, Milben und Co. – Was tun bei Allergien?

Ratschläge für Patienten und Betroffene

1. Grundlagen

1 Grundlagen

Info-Archiv


1.1 Was ist eine Allergie?


Das Interesse an allergischen Erkrankungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen.
Dafür gibt es verschiedene Gründe: Weltweit ist eine Zunahme der ohnehin häufigen
allergischen Erkrankungen der Atemwege zu verzeichnen. Darüber hinaus haben sich die
Erkennungsmöglichkeiten von Allergien durch den medizinischen Fortschritt verbessert. Nicht
zuletzt haben unser wachsendes Gespür für Veränderungen in Natur und Umwelt und die
Berichterstattung der Medien zu einem gesteigerten Interesse geführt.

Allergien sind populär

Die Popularität von Allergien in der öffentlichen Diskussion kann jedoch nicht verhindern, daß
der Begriff Allergie sehr unterschiedlich verwendet wird und dabei vieles durcheinander gerät.
Viele Menschen sind daran gewöhnt, sämtliche Reaktionen einer Unverträglichkeit pauschal
mit dem Begriff der Allergie zu bezeichnen.

Allergien – eine Definition


In der Medizin wird mit einer Allergie eine immunologisch bedingte, übersteigerte
Unverträglichkeit des Körpers auf bestimmte Umweltstoffe bezeichnet.

Der Zusatz „immunologisch bedingt“ macht deutlich, daß eine Störung des Immunsystems, der
körperlichen Abwehr des Menschen, vorliegt. Andere Formen der Überempfindlichkeit, die
nicht auf einer Störung des Immunsystems beruhen, werden daher nicht als Allergie
bezeichnet. Hier stehen Begriffe wie Pseudoallergie, Intoleranz oder allgemeine
Überempfindlichkeit zur Verfügung. Die gewissenhafte Trennung dieser Begriffe hat den
Vorteil, die zugrundeliegenden Ursachen und Möglichkeiten zur Erkennung oder Behandlung
einer Störung besser unterscheiden zu können. Insofern hilft eine exakte Begriffsbestimmung,
falsche Erwartungen und Mißverständnisse zum Thema Allergien von vornherein zu
vermeiden.

Verschiedene Allergieformen


Abhängig von ihrer Entstehung und der zugehörigen Störung des Immunsystems können
einige Allergieformen voneinander unterschieden werden. Allergische Erkrankungen, die mit
einer gesteigerten Produktion von bestimmten Antikörpern (Immunglobuline der Klasse E =
IgE) einhergehen, treten am häufigsten an den Schleimhäuten der Atemwege auf. Dazu
gehören der allergische Schnupfen an den oberen Atemwegen (Nase, Mund- und Rachenraum)
und das allergische Asthma der unteren Atemwege (Bronchien).

Allergene – mal harmlos, mal gefährlich


Als Auslöser, die als Allergene bezeichnet werden, kommen verschiedene, an und für sich
harmlose Eiweißstoffe der Umwelt in Frage, z.B. Pollen-, Milben- und Tierbestandteile. Da
diese Form der Überempfindlichkeit nach Allergenkontakt rasch zu Beschwerden führen kann,
wird sie als Soforttypallergie oder Typ-I Allergie bezeichnet.

Kleinere Bausteine aus unserer Umwelt sind dagegen selten für echte Allergien an den
Atemwegen verantwortlich; sie verursachen allerdings allergische Erscheinungen an der Haut,
die in einer akuten oder chronischen Entzündung (Ekzem) enden können.

Wenn die Haut keinen Modeschmuck verträgt


Das bekannteste Beispiel ist die Nickel-Allergie; darüber hinaus gibt es aber auch ein breites
Spektrum chemischer Substanzen, die zu Reaktionen führen können. Da sie häufig mit einer
gewissen Verzögerung auftreten, werden diese Reaktionen als Spättypallergie (oder Typ-IV
Allergie) bezeichnet. Auch hier spielen spezialisierte Zellen des Immunsystems eine Rolle,
obwohl der Entstehungsmechanismus ein anderer ist als bei den Soforttypallergien.

In seltenen Fällen können Eiweißstoffe auch isolierte Reaktionen am Lungengewebe
verursachen, die mit Entzündung, Strukturumbau und eingeschränkter Funktion einhergehen
(sogenannte Typ-III Allergie). Das vorliegende Buch konzentriert sich auf die Darstellung der
Soforttypallergien (Typ-I Allergie), die häufig zu allergischen Erkrankungen der Atemwege
führen. Im folgenden Text wird der Begriff „Allergie“ daher nur für diese Form der
Überempfindlichkeit verwendet.

Dieser Ratgeber handelt von Soforttypallergien


1.2 Die Bereitschaft zur Allergie wird vererbt



Seit langem ist bekannt, daß die Bereitschaft zur Allergie (vom Arzt auch Atopie genannt) in
manchen Familien häufiger vorkommt als in anderen. Auch aus der Zwillingsforschung weiß
man, daß die Allergiebereitschaft vererbt wird. Ist ein Elternteil oder eines der Geschwister
bereits allergisch, so liegt das Risiko für die anderen Kinder, ein Atopiker zu sein, bei ungefähr
30%. Sind beide Elternteile allergisch, steigt dieses Risiko auf mindestens 50%.

Das Allergierisiko, eine unfreiwillige Erbschaft


Vererbt wird aber offenbar nur die Bereitschaft zur Allergie; inwieweit es tatsächlich zu einer
allergisch bedingten Erkrankung mit Beschwerden kommt, läßt sich nicht mit Sicherheit
vorhersagen. Allerdings können allergische Eltern verschiedene Dinge berücksichtigen, die das Risiko der Kinder reduzieren, eine allergische Erkrankung zu entwickeln.

Bringt Genforschung die Antwort?

Es wird angenommen, daß die erhöhte Allergiebereitschaft nicht nur auf einem einzigen Erbmerkmal (Gen) beruht, sondern daß verschiedene Gene für die Vererbung der Atopie verantwortlich sind. Forschergruppen auf der ganzen Welt arbeiten an der Identifizierung von Gen-Kandidaten, die als Träger der atopischen Erbinformation in Frage kommen. Dieser Forschungszweig wird allerdings zunächst weniger zur Behandlung als zum Verständnis von allergischen Erkrankungen beitragen.

1.3 Die Rolle des Immunsystems bei der Entstehung von Allergien

Das Immunsystem des Menschen dient, vereinfacht gesagt, der körperlichen Abwehr. Mit Hilfe dieses Systems, bei dem verschiedene, spezialisierte Immunzellen eng zusammenarbeiten, können wir uns z.B. gegen krank machende Erreger (Viren, Bakterien, Parasiten) verteidigen. Die Eindringlinge werden entweder direkt attackiert oder zunächst durch bestimmte Eiweißkörper (Antikörper) verklumpt und anschließend beseitigt.

Das Immunsystem dient der Verteidigung

Eine Voraussetzung für das Immunsystem, seine Aufgaben zuverlässig erfüllen zu können, ist die Fähigkeit des Körpers, zwischen „Selbst“ (Bausteine des eigenen Körpers) und „Fremd“ (z.B. Stoffe oder Organismen aus der Umwelt) zuverlässig zu unterscheiden. Außerdem ist die körpereigene Abwehr nur dann sinnvoll, wenn sie gegen Dinge aus der Umwelt gerichtet ist, die dem Körper gefährlich werden können.

Bei der Allergie liegt hier offenbar ein Defekt vor. Das Immunsystem des Allergikers attackiert Eiweißstoffe aus der Umwelt – die Allergene -, die eigentlich völlig harmlos für unseren Organismus sind und bei den meisten Menschen keine Krankheit auslösen würden.

Wenn das Immunsystem die „Angreifer“ überschätzt

Insofern handelt es sich bei der Allergie um eine fehlgeleitete, überschießende Immunabwehr auf ursprünglich harmlose Eiweißkörper (Proteine) aus der Umwelt. Eine Allergie hat also nicht, wie häufig angenommen, mit einer Abwehrschwäche zu tun, sondern ist eine krankhafte, verstärkte und „überflüssige“ Reaktion des Immunsystems.

Entstehung der Allergie

In den vergangenen Jahren sind weitere Einzelheiten im Zusammenhang mit der Entstehung einer Allergie aufgeklärt worden: Bei entsprechender Erbanlage (genetischer Disposition) kann ein Kontakt mit bestimmten Eiweißstoffen – den atopischen Allergenen —, die Entwicklung einer allergischen Überempfindlichkeit einleiten. Dieser Prozeß wird als Sensibilisierung bezeichnet und ist in Abb. 1 erläutert. Nach dem ersten Kontakt mit der Schleimhaut werden die Allergene von Freßzellen aufgenommen und in Fragmente gespalten. Diese Bruchstücke werden anderen Immunzellen (T-Lymphozyten) dargeboten. Einmal aktiviert, helfen diese Zellen, die Antikörperproduktion anzukurbeln. Der Aufbau und die Freisetzung dieser Antikörper findet in spezialisierten Zellen (B-Lymphozyten oder Plasmazellen) statt.

Antikörper sind die Waffen des Immunsystems

Aus bisher ungeklärten Gründen werden allerdings vorwiegend Antikörper einer bestimmten Klasse gebildet (IgE = Immunglobulin E).

Abb. 1: IgE-Bildung und Sensibilisierungsvorgang
Nach dem ersten Kontakt mit der Schleimhaut werden die potentiellen Allergene (z.B. Eiweißstoffe aus Pollen-, Tier- oder Hausstaubmilbenbestandteilen) von Freßzellen des Immunsystems aufgenommen. Sie zerkleinern das aufgenommene Protein in kleine Eiweißbruchstücke in ihrem Inneren. Anschließend werden die Fragmente mithilfe von oberflächlich gelegenen Bindungsstellen (halbkreisförmig) spezialisierten Immunzellen, den T-Zellen, dargeboten. Die T-Zelle wird dadurch aktiv und hilft anderen Immunzellen, den B-Zellen, bei der Produktion von Antikörpern (bei Allergien sind es häufig IgE-Antikörper), die ausschließlich gegen das ursprüngliche Allergen gerichtet sind. Das IgE verteilt sich in der Blutbahn und im Körper und setzt sich fest auf bestimmte Abwehrzellen, den sog. Mastzellen. Die feste Bindung des neu gebildeten IgE auf der Mastzelle über bestimmte Kontaktstellen (IgE-Rezeptoren, nicht dargestellt) wird als Sensibilisierung bezeichnet. Jetzt ist die Mastzelle, die verschiedene Entzündungsmediatoren in ihren Zellbläschen enthält, bereit für eine allergische Reaktion; zahlreiche gegen das Allergen gerichtete IgE-Antikörper sitzen auf ihrer Oberfläche.

IgE-Antikörper – unsere Waffen gegen Parasiten?

Eigentlich dienen diese Antikörper der Abwehr von bestimmten Parasiten (Würmern), die in unserer Gesellschaft nur noch selten für Infektionen verschiedener Organe verantwortlich sind. Nach ihrer Produktion verteilen sich diese Antikörper im gesamten Körper. Dabei binden sie sich unter anderem fest an bestimmte Entzündungszellen (Mastzellen und basophile Leukozyten, eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen), die für spätere allergische Reaktionen verantwortlich sind. Diese Zellen befinden sich in fast allen Organen und in den Schleimhäuten. Bei einem erneuten Allergenkontakt kann es jetzt, nachdem der Körper sich gegen das Allergen sensibilisiert hat, an der Schleimhaut zu allergischen Reaktionen kommen.



1.4 Die allergische Entzündung

Allergische Beschwerden können immer dann entstehen, wenn im Anschluß an eine Sensibilisierung die verantwortlichen Allergene mit der Atemluft in die Schleimhaut gelangen und eine allergische Reaktion auslösen (Abb. 2). Durch den Kontakt zwischen dem Allergen und den Antikörpern werden die Entzündungszellen (z.B. Mastzellen), auf denen die IgE-Antikörper gebunden sind, aktiv.

Abb. 2: Die allergische Reaktion und ihre Folgen
Bei erneutem Allergenkontakt werden die Allergene von den IgE-Antikörpern auf der Mastzelle „erkannt“. Das Allergen bindet mindestens zwei von ihnen und löst so die allergische Reaktion aus: Die Zellbläschen der Mastzelle entleeren nach kurzer Zeit ihren Inhalt – ein Cocktail aus verschiedenen Entzündungsmediatoren (z.B. Histamin) – in das umgebende Gewebe. Die Mediatoren binden rasch an bestimmte Kontaktstellen (Mediator-Rezeptoren, nicht dargestellt), die nach dem Schlüssel-Schloß-Prinzip funktionieren. Je nach Verteilung der Rezeptoren (z.B. auf Muskelzellen, Blutgefäßwandzellen, Schleimdrüsenzellen und Nervenzellen) kommt es in verschiedenen Teilen des Gewebes zur Reaktion (Anspannung der Bronchialmuskeln, Weitung der Blutgefäße, Sekretproduktion in den Schleimdrüsen, Juckreiz durch Aktivierung von Nervenbahnen). Die Summe dieser Reaktionen führt schließlich nach kurzer Zeit zu den typischen allergischen Beschwerden, die bei anhaltendem Allergenkontakt weiterbestehen können und dann als allergische Entzündung bezeichnet werden.

Mehr Schaden als Nutzen: Antikörper bei Allergien

Entzündliche Botenstoffe (Mediatoren) werden aus zahlreichen Zellbläschen der Mastzellen freigesetzt. Diese Mediatoren (z.B. Histamin) binden sich nach dem Schlüssel-Schloßprinzip über bestimmte Kontaktstellen (Rezeptoren) an eine Vielzahl anderer Körperzellen. Dadurch werden die typischen allergischen Symptome ausgelöst, wie z.B. Juckreiz, Quaddelbildung, Anschwellen der Schleimhaut und Verengung der Bronchien.

Wenn die Allergie zur Entzündung wird…

Neben dieser raschen, innerhalb von Minuten eintretenden Reaktion werden durch weitere Mediatoren Entzündungszellen aus den Blutgefäßen angelockt. Diese wandern in das Gewebe ein und führen verzögert zu einer Verstärkung der allergischen Entzündung. Dabei kann es nach einigen Stunden zu einem Wiederaufflackern der allergischen Beschwerden kommen.

Erhöhte Reizempfindlichkeit durch Allergien?

Die anhaltende allergische Entzündung macht die Schleimhaut außerdem überempfindlich für andere physikalische oder chemische Reize. Dadurch reagiert schließlich der Allergiker nicht nur auf sein typisches Allergen, sondern wird bei fortgesetztem Kontakt auch überempfindlich auf andere Reize (z.B. Temperaturwechsel, Rauch, starke Gerüche oder körperliche Belastungen).

Von der allergischen Reaktion zur chronischen Entzündung

Ist der Allergiker dauerhaft den Allergenen ausgesetzt, kann sich eine fortgesetzte Entzündung an der Schleimhaut mit möglicherweise bleibenden Schäden entwickeln; dies wird häufig beim Bronchialasthma beobachtet, das dadurch chronisch werden kann. Bei rechtzeitigem Eingreifen (z.B. durch Vermeidung der Allergene, Immuntherapie mit Allergenlösungen, Behandlung mit Medikamenten) läßt sich diese chronische Entwicklung verhindern.

Allergie und Psyche

Abhängig vom Grad der allgemeinen Überempfindlichkeit können schließlich andere Auslöser neben den Allergenen für Beschwerden an den Schleimhäuten verantwortlich sein. Hierzu zählen auch emotionale Belastungen oder psychische Faktoren. Ein Zusammenhang zwischen der allergischen Entzündung, den Beschwerden des Patienten und seiner psychischen Situation beruht möglicherweise auf komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Nervensystem und dem Entzündungsvorgang. Ein neuer Forschungszweig, der sich mit diesen Wechselwirkungen beschäftigt, hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Botenstoffen (Neuropeptide) entdeckt, die wahrscheinlich für diese Wechselwirkungen verantwortlich sind. Kann die allergische Entzündung und die Entwicklung einer allgemeinen Schleimhautüberempfindlichkeit jedoch wirksam verhindert werden, verlieren die dargestellten Wechselwirkungen mehr und mehr an Bedeutung.

1.5 Allergenkontakt und Umweltbedingungen – wichtige Faktoren bei der Entstehung von Allergien

Neben der erblichen Allergiebereitschaft ist der Kontakt mit den Allergenen der Umwelt eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung einer Allergie. Würden z.B. Risikokinder in einem völlig allergenfreien Mileu aufwachsen, würden sich mit größter Wahrscheinlichkeit keine Allergien einstellen (Eskimos kennen z.B. keinen Heuschnupfen). Erst der direkte Kontakt der Allergene mit der Schleimhaut löst die Sensibilisierung aus; dazu bedarf es nur geringer Mengen.

Ohne Allergenkontakt keine Allergie

Da die häufigsten Allergene Eiweißkörper aus der Umwelt sind, bestimmen unsere Lebensbedingungen maßgeblich, welchen Allergenen und wie stark wir ihnen ausgesetzt sind. Auch klimatische Umstände und kulturelle Faktoren haben einen Einfluß auf das Allergenspektrum, wie man dank vergleichender Untersuchungen verschiedener Länder weiß. Die bei uns verbreitete Haustierhaltung hat sicherlich das Risiko zur Tierallergie erhöht und ist dadurch teilweise für die Zunahme von allergischen Erkrankungen mitverantwortlich.

Allergie durch „modernes“ Leben?

Veränderte häusliche Gewohnheiten und ein besserer Kälteschutz unserer Wohnungen haben indirekt zur Verbreitung einer anderen wichtigen Allergenquelle geführt: der Hausstaubmilbe. Diese winzigen Tiere gedeihen besonders gut in feucht-warmer Umgebung, die durch eine bessere Isolation unserer Wohnräume aus Gründen der Energieersparnis begünstigt wird. Es besteht heutzutage kein Zweifel mehr daran, daß bei entsprechender atopischer Veranlagung die Menge an Milbenallergenen im Hausstaub mit dem Risiko, eine Milbenallergie zu entwickeln, verknüpft ist.

Umwelt und Allergie

Diese Beispiele zeigen, daß tatsächlich unsere individuellen Lebens- und Umweltbedingungen einen maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung einer Allergie haben. Der Begriff Umweltkrankheit wäre allerdings irreführend, da darunter häufig die direkte Belastung durch Schadstoffe aus unserer Umwelt verstanden wird. Inwieweit die zunehmende Belastung mit Umweltschadstoffen tatsächlich für eine Zunahme der Allergien verantwortlich ist, läßt sich derzeit schwer abschätzen. Es gibt tatsächlich Hinweise dafür, daß Schadstoffe zu einer Verstärkung von allergischen Beschwerden führen können. Dieses mag dann eine besondere Bedeutung besitzen, wenn sich durch die chronische Entzündung bereits eine allgemeine Schleimhautüberempfindlichkeit entwickelt hat. Allerdings kommen die Umweltschadstoffe als direkte Allergene für allergische Erkrankungen an den Schleimhäuten nicht in Frage, da es sich hierbei um sehr kleine chemische Bausteine handelt, die vom Immunsystem der Schleimhaut nicht beachtet werden.

Umweltschadstoffe als Verstärkungsfaktoren

Die allgemeine Belastung durch Umweltschadstoffe ist daher eher ein Verstärkungsfaktor und weniger als Ursache für zunehmende allergische Beschwerden anzusehen. In diesem Zusammenhang sei noch einmal betont, daß die wichtigsten und häufigsten Schleimhautallergene harmlose Eiweißsubstanzen sind, die bei fehlender Allergiebereitschaft dem Menschen keinen Schaden zufügen.

1.6 Allergien fangen schon im Kindesalter an und nehmen an Häufigkeit zu

Allergien sind häufig

Die Bereitschaft, eine Allergie der Atemwege zu entwickeln, ist in unserer Bevölkerung weit verbreitet und liegt zwischen 20% bis 30%. Nicht alle dieser Atopiker, die im Hauttest mit einer Quaddelreaktion auf Allergene reagieren, entwickeln später eine allergische Erkrankung. Die Faktoren, die schließlich zur Ausbildung einer Allergie führen, sind noch unklar. Durch die begleitende Untersuchung von zahlreichen Kindern ist allerdings ein grobes Schema erkennbar, nach dem sich Allergien im Kindesalter entwickeln (Abb. 3).

Die allergische Biographie: Früher Start und ungewisser Ausgang

Häufig beginnt die „allergische Karriere“ mit einer Allergie gegen Nahrungsmittel (Milch, Ei) im Säuglings- und Kindesalter, aus denen die meisten Kinder glücklicherweise rasch wieder herauswachsen. Parallel dazu kann es bei den Kindern bereits zu einem atopischen Ekzem gekommen sein, einer chronischen Hautkrankheit mit quälendem Juckreiz. Ein Teil der Kinder verliert, ein Teil behält nach dem 3. Lebensjahr diese Krankheit, die je nach Ausprägung mit erheblichen Belastungen für alle Beteiligten verbunden sein kann. Mit zunehmendem Alter (1. bis 15. Lebensjahr) nimmt die Häufigkeit von Bronchialasthma stetig zu; im Schulalter setzen schließlich die allergischen Beschwerden an Augen und Nase (z.B. Heuschnupfen) ein.

Abb. 3: Der natürliche Verlauf atopischer Erkrankungen im Kindesalter
Die Häufigkeit von verschiedenen Erkrankungen bei Kindern mit erhöhter Allergiebereitschaft kann an den einzelnen Kurvenverläufen abgeschätzt werden. Auf der unteren Achse ist das Lebensalter in Jahren dargestellt und die Höhe der Kurven entspricht der relativen Häufigkeit. Die sog. Hochrisikokinder von allergischen Eltern leiden bereits oft im Säuglingsalter an Allergien gegen Nahrungsmittel (Milch, Ei). Wenig später kann sich ein atopisches Ekzem dazugesellen, eine chronische, entzündliche Hauterkrankung mit starkem Juckreiz. Glücklicherweise vertragen die meisten Kinder nach dem 1. Lebensjahr die Nahrungsmittelallergene wieder und auch ein Teil der Kinder mit atopischem Ekzem verliert seine Krankheit nach dem 3. Lebensjahr. Allerdings nehmen bis zum fortgeschrittenen Schulalter die allergischen Beschwerden der unteren Atemwege (Bronchialasthma) und schließlich auch der oberen Atemwege (allergischer Schnupfen) stetig zu und bilden danach die Gruppe der häufigsten allergischen Erkrankungen.

Je heftiger der Start, desto mehr Vorbeugung ist gefragt

Je früher die allergischen Krankheiten einsetzen und je heftiger die Symptome von Anfang an sind, desto wahrscheinlicher ist auch in Zukunft mit einem schweren Verlauf zu rechnen. Zeichnet sich also bei den Kindern schon frühzeitig die starke Ausprägung der Allergien ab, sollte alles getan werden, um mit Hilfe geeigneter vorbeugender Maßnahmen die zukünftige Entwicklung günstig zu beeinflussen.

Allergien nehmen zu…

Verlaufsuntersuchungen in vielen Ländern lassen keinen Zweifel daran, daß die allergischen Erkrankungen der Atemwege in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. In westlichen Ländern mit einem hohen Lebensstandard sind Allergien besonders häufig und daher auch als „Zivilisationskrankheiten“ bezeichnet worden. Wie bereits erwähnt, spielen die aktuellen Wohn- und Lebensbedingungen eine wichtige Rolle für die Allergenexposition. Teilweise ist die Zunahme der Allergien damit zu erklären, daß wir in unserer Gesellschaft mehr und mehr Zeit in Innenräumen verbringen. Verständlicherweise bekommen dadurch Innenraumallergene wie Tier- und Milbenbestandteile eine wesentlich größere Bedeutung für unsere Gesundheit.

…vielleicht, weil wir Stubenhocker werden?

Vergleichende Untersuchungen der Allergiehäufigkeit in den alten und neuen Bundesländern kurz nach der Wiedervereinigung brachten überraschende Ergebnisse. Obwohl zunächst angenommen worden war, daß durch die größere Luftschadstoffbelastung (Schwefeldioxyd, Schwebstäube) die Allergiehäufigkeit in den neuen Bundesländern höher sei, war das Gegenteil der Fall. In Reihenuntersuchungen mit vielen tausend Kindern in Ost und West wurde gezeigt, daß in vergleichbaren ländlichen und städtischen Gebieten der Anteil allergischer Kinder im Westen wesentlich höher war.

Die Überraschung beim Ost-West-Vergleich: Doppelt so viele Allergien im Westen

Verschiedene Faktoren, z.B. die andersartige Schadstoffbelastung im Westen (mehr Stickoxyde, Kohlenmonoxyd und flüchtige organische Verbindungen), wurden zur Erklärung herangezogen. Auch Unterschiede beim Aufwachsen der Kinder, wie z.B. die routinemäßig bei Säuglingen durchgeführten Impfungen oder die frühzeitige Unterbringung der Kinder in Krippen und die damit verbundene erhöhte Infekthäufigkeit in den neuen Bundesländern, werden für die Unterschiede verantwortlich gemacht.

Experten suchen nach Erklärungen

In Übereinstimmung hiermit waren bei zunehmender Geschwisterzahl weniger Allergien feststellbar. Auch hier wäre ein Einfluß von Infekten — erstaunlicherweise als Schutzfaktor vor Allergien — auf das frühkindliche Immunsystem und die Allergiebereitschaft denkbar. Wohnungen in höheren Stockwerken von Plattenbauten aus Leichtbeton haben durch geringe Luftfeuchtigkeit offenbar weniger Milbenbesiedlung gehabt. Dies wäre eine weitere Erklärung für die geringere Allergiehäufigkeit in der ehemaligen DDR.

Noch wissen wir aber zuwenig, um die Unterschiede hundertprozentig zu verstehen. Untersuchungen aus jüngster Zeit zeigen allerdings einen Trend zur Zunahme von Allergien auch in den neuen Bundesländern, die mittlerweise fast so häufig auftreten wie in den alten Bundesländern.

Diese verblüffende Entwicklung bestätigt, daß Unterschiede in den Wohn-, Lebens- und Umweltbedingungen in Ost und West für die unterschiedliche Allergiehäufigkeit verantwortlich waren. Wenn schon als Zivilisationserkrankung bezeichnet, scheinen die Allergien der Atemwege insbesondere ein Phänomen der „westlichen“ Zivilisation zu sein.

Mehr Allergien durch freie Marktwirtschaft?

 
  zurück zum Inhalt   Seitenanfang  nächstes Kapitel

Leichtes oder schweres Asthma?

Abhorchen Hochkant quadratisch 1-06
Probanden ab 18 Jahren für klinische Studien gesucht. Neue Behandlungsmethoden für die Zukunft.

Qualitätszirkel Allergologie

Qualitätszirkel Allergologie
Die AeDA-Regionalgruppe Berlin trifft sich meist am 1. Do. des Monats zum allergologischen Qualitätszirkel; NEU: ab 2-2019 in der KV Berlin (Moderation: Dr. Zeise u. Dr. Chaoui)

AeDA-Regionaltagung 2017

AeDA-Regionaltagung 2017
Am Sa. 14.10.17 findet im Westend die allergologische Jahrestagung der Berliner Regionalgruppe des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (AeDA) statt; dieses Jahr unter dem Hauptthema "!Leitlinien in der Allergologie: Handlungsbasis für Klinik und Praxis"

Internationales Fachbuch zur Molekularen Allergologie

Internationales Fachbuch zur Molekularen Allergologie
Jörg Kleine-Tebbe & Thilo Jakob (Hrsg.):
1. Auflage, 531 S., 112 Abb., gebunden
ISBN: 978-3-319-42498-9
Springer International Publishing 6-2017

EAACI Molecular Allergology User´s Guide (MAUG) 2016

EAACI Molecular Allergology User´s Guide (MAUG) 2016
Wissenschaftliche Veröffentlichung des EAACI MAUG frei verfügbar: Pediatr Allergy Immunol 2016;27 Suppl 23:1-250 (Free Access, PDF-Datei 18,5 MB, dazu auf das Cover klicken)